GRUENER JOURNALISMUS: DON’T PANIC IT’S ORGANIC

„Don’t Panic, it’s Organic“ – Hat nachhaltige Mode ein Image Problem?

Im Schaufenster stehen zwei Puppen. Die eine trägt ein schwarzes Kleid mit roten Punkten, darunter ein bordeauxroter Wollpulllover, die Puppe rechts neben ihr ein unauffälliges schwarzes T-Shirt. Auf der Ablage liegen Handschuhe in grau, weiß und blau, der Jahreszeit entsprechend. Betritt man „Organicc“, den kleinen Laden in der Bergstraße in Frankfurt, befinden sich rechts und links graue Stangen, an denen auf hölzernen Kleiderbügeln Jeansjacken, ein dunkelblaues Regencape und einfarbige, weiße T-Shirts hängen. Die Männer teilen sich die Stange mit der Kinderkleidung, die linke Seite ist die der Frauen. In der Mitte des Ladens eine Auslage, wieder liegen dort Handschuhe und Schals schön drapiert. Ein ¾-Langarm-Shirt für 69 Euro, 20 Euro für ein Basic-Shirt, deutlich mehr für Jacken und Blazer, über 200 Euro das Stück. Die Preise sind mit Wollfäden auf Papier-Etiketten an der Kleidung befestigt. „Handbedruckt in FFM (Abkürzung: Frankfurt am Main), handgestrickt in FFM“, zieren die dunkelbraunen Papierschilder, alles scheint hier recycelbar.

Hinter dem Tresen steht Irina Palmer, die den kleinen Laden gemeinsam mit ihrem Mann gegründet hat. Irina ist Mitte 30, trägt Jeans, einen Pullover mit einer ärmellosen  Strickjacke darüber. Sie trägt dunkelroten Lippenstift, Highlighter und sieht nicht im geringsten aus, wie man sich eine Frau vorstellt, die in einem Bio-Laden für nachhaltige Mode wirbt. „In den Jahren hat sich eine Stammkundschaft aufgebaut. Das sind die Leute, die auch insgesamt einen nachhaltigen Lebensstil verfolgten.

In den Köpfen vieler sind das vor allem die  Leute, die mit selbst gestrickter, bunter Wollmütze am Mittwoch Vormittag trotz eisiger Kälte verkrüppelte Kartoffeln auf dem Wochenmarkt kaufen, um sie dann in ihrem Korb nachhause zu schleppen. Die Leute, die in den Sommerferien mit ihren Kindern in den Odenwald wandern gehen, statt nach Spanien zu fliegen und sich am Pool zu sonnen.

„Es sind aber auch zunehmend Studenten, die unseren Laden aufsuchen. Deren Budget reicht zwar nicht für eine rein nachhaltige Ausstattung, aber ein paar Basic-Teile wie Tops oder Shirts leisten sie sich schon.“ Es lässt sich ein leicht vorwurfsvoller Unterton in ihrer Stimme raushören. Dem Eindruck, dass sich vor allem in den vergangenen Jahren ein breiteres ökologisches Bewusstsein in der Gesellschaft etabliert habe, kann sie nicht zustimmen. Die Menschen seien heutzutage viel zu bequem. „Ein Klick mit der Maus und die Klamotten sind da.“

Außerdem würde man das ja auch sehen, wenn man einen Blick auf die Frankfurter Zeil und die Innenstädte Deutschlands werfe. „Wie heißt noch gleich der Laden, wo die Menschen mit diesen riesigen Tüten rauskommen? Den boykottiere ich total. Genau, Primark“ stellt Palmer klar. Sie habe zwar keine Statistiken dafür, aber für den Einzelhändler stelle diese Bequemlichkeit der Leute ein Problem dar. Und das, findet sie, wäre auch ein Problem für die Nachhaltigkeit.

„100% Bio, 100% Sustainable, 110% Stylish“, steht in weißer Schrift auf der Fensterscheibe von Organicc. Ein gepunktetes Shirt, verziert mit einem Reh auf der Brust, ein Dalmatiner auf einem Langarmpullover. Ist die Bequemlichkeit der Leute wirklich das einzige Problem der nachhaltigen Mode? Im Sortiment finden sich Labels, von denen die breite Masse wahrscheinlich noch nicht viel gehört hat: „Armed Angels“ teilt sich die graue Stange des Ladens mit „Academy“ und „Sey“, einem Label aus Amsterdam. Mit „Toy“, „Mandala“ – Yoga-Wear aus München – und der „lässigen, organic Fashion“ von „Room to Roam“. Alle vereinen sie die Kriterien: sozial, fair, bio. „TRAG DIE WELT SCHÖN“ lautet das Motto auf der Website von Organicc. Doch wie schön finden wir Konsumenten sozial, fair, bio denn nun wirklich?

„Don’t panic, it’s organic“ lautet der Slogan der ökologischen Modebranche. Doch sind wir wirklich in Panik? Wir sind uns bewusst, was es bedeutet bei billigen Modehäusern einzukaufen, die in unseren Innenstädten haufenweise zum Einkaufsbummel einladen. Natürlich wissen wir von den menschenunwürdigen Bedingungen in den Produktionsländern. Doch hat dieses Wissen die Macht unser Konsumverhalten – nun ja, nachhaltig – zu verändern?

Zweitschmutzigste Industrie der Welt

In der Modewelt hat quasi jede Woche ihren eigenen Trend, Pausen gibt es nicht. T-Shirts mit Aufschriften wie „Love“ oder „Feminism“ in der einen Woche, 7/8 Jeans mit Fransen in der anderen. Hauptsache schnell. Hauptsache billig. In dem Film „The True Cost“, der sich damit beschäftigt wie und unter welchen Bedingungen Kleidung entsteht, wird die Mode als die zeitschmutzigste Industrie der Welt bezeichnet. Durch die rasante Industrialisierung der Landwirtschaft werden Baumwollplantagen als Fabriken betrachtet. Pestizide gehören zur alltäglichen Routine. Diese haben nicht nur großen Einfluss auf den Boden und das Grundwasser, sondern auch auf die Menschen in der Umgebung dieser Plantagen.

Unsere Haut ist das größte Organ unseres Körpers und dennoch tragen wir tagtäglich Kleidung aus genetisch modifizierten Materialien. Menschen arbeiten unter den widrigsten Bedingungen. Wir haben die Bilder von Rana Plaza aus dem Jahr 2013 im Kopf. Das achtgeschossige Gebäude brach in Bangladesch zusammen, während innen mehr als 3000 Textilarbeiterinnen an billigen Kleider für den Westen arbeiteten. Wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen, weder Brandschutz noch elektrische Leitungen wurden überprüft, mussten 1138 Menschen sterben, über 2000 wurden verletzt – das bisher größte Unglück in der Textilindustrie.

Und es hat mit unserer Einstellung zu den Verhältnissen zu tun, mit der Haltung der Konsumenten gegenüber den Zuständen: Denn wir kennen das klischeebehaftete Bild des kleinen Mädchens an der Nähmaschine. Und trotzdem kaufen wir das Oberteil für 5 Euro bei H&M. Den wirklichen Preis für dieses Oberteil bezahlen jedoch ganz andere Menschen, noch weit bevor wir es im Laden an der Stange hängen sehen. Der Konkurrenzkampf unter den großen Konzernen spornt die Firmen an, die Löhne immer weiter zu kürzen. „Made in Bangladesh“ steht auf unseren Etiketten. Dinge, über die sich der Westen schon lange nicht mehr wundert oder hinterfragt. Modefirmen lassen in dem südasiatischen Staat produzieren, weil es hier die billigsten Arbeitskräfte gibt und Sicherheitsstandards, die mit den europäischen nicht ansatzweise zu vergleichen sind. „Es gibt kein Tarifrecht, kein Gewerkschaftsrecht, es gibt einen sehr niedrigen Mindestlohn, kein Mutterschaftsgeld, keine Pensionsansprüche, deswegen ist die Modeindustrie in Bangladesh“, so Tansy Hopkins, Autorin des Buches „Das antikapitalistische Buch der Mode“.

Größtmöglicher Profit für die einen, menschenrechtsverletzende Bedingungen für die anderen. Gerade in Schwellenländern wie Indien, die noch am Anfang der Industrialisierung stehen, haben die Arbeitsbedingungen massiven Einfluss auf ihre Gesundheit. Kanpur ist die Hauptstadt des Lederexports in Indien. Das mit Chrom belastete Industriewasser wird direkt in das Grundwasser der Millionen-Stadt geleitet, um dann in den heiligen Ganges zu fließen. Grund und Boden sind verschmutzt – die Menschen leiden unter Hautkrebs und Nierenversagen. Tonnenweise gespendete Kleidung landet in überflüssigen Mengen in Entwicklungsländern und stapelt sich als Abfall auf den Mülldeponien. Die Kleidung baut sich nicht biologisch ab und die Länder versinken in Müll, der nicht mal ihr eigener ist. Die Auswirkungen der Fast Fashion Industrie auf die Entwicklungsländer gehen noch weiter – durch den Import gespendeter Kleidung wird die lokale Bekleidungsindustrie nahezu ruiniert. Und wir? Kaufen trotzdem das Oberteil für fünf Euro bei H&M.

Moralisierende Weltverbesserer 

Man sollte meinen, ökologisch faire Mode wäre die Lösung für die meisten dieser Probleme: keine Pestizide, bessere Arbeitsbedingungen und ein bewussterer Konsum. Das Gewissen wäre vorübergehend befriedigt. Doch dem ist nicht so. Während „grüne Mode“ – ein Begriff, welcher an sich schon unsexy klingt –  mit schweren  Imageproblem zu kämpfen hat, brauchen sich die großen Ketten keine Sorgen zu machen. Müssten wir uns zwischen dem Dalmatiner Shirt für 49 Euro und dem „Love“-Pullover von Zara für einen Zehner entscheiden, würde unsere Wahl wahrscheinlich auf letzteres fallen – und doch wäre es eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

„Nachhaltige Marken werden zu 90 Prozent von moralisierenden Weltverbesserern betrieben. Ein Gruppe von Menschen, die nicht gerade für progressives Design bekannt ist, sagt Roth, Gründer des Männer-Modeblogs „Dandy Diary“, im Gespräch. „Außerdem wird es schnell fragwürdig, wenn man meint mit seinen Produkten anderen Menschen oder Marken moralisch überlegen zu sein. Was hier natürlich schnell passiert, weil das ihre Markenidentität ist“, so Roth.

Demnach kann es kaum richtig sein, die Karte mit den ständigen Vorwürfen und Aufklärungen über die Folgen unseres Konsums zu spielen. Ist es also wirklich sinnvoll den Verzicht zu predigen?  Am Ende erreicht man so womöglich, ähnlich wie Irina Palmer es in Frankfurt erlebt, vor allem die, die sich sowieso schon mit einem nachhaltigen Lebensstil beschäftigen. Die sich über die Alternative definieren – und nicht die breiten Masse. „Ich glaube, dass nachhaltige Labels weitaus größere Chancen hätten sich zu behaupten, wenn sie nicht mit Nachhaltigkeit werben würden. Nachhaltigkeit sollte nicht ein „Inhalt“ sein, sondern viel eher Voraussetzung und Selbstverständlichkeit,“ findet Amelie Varzie, erklärt Journalistin für das Mode Magazin „Œ“ aus Berlin im Interview.

„Award For Innovations“ für Stella McCartney

„This Was the Year Sustainable Fashion Got Sexy“ titelt die amerikanische Vogue.  Gucci wird ab 2018 offiziell „fur-free“, auch Michael Kors verzichtet künftig auf Felle. Labels wie Veja, Flippe K, Hund Hund, Noah Nya beweisen, dass ökologisch faire Mode funktionieren kann. Regionale und transparente Produktionsketten, umweltfreundliche Materialien, und Designs, die mehr als einen Trend überdauern, sind essenzielle Grundvoraussetzungen für die Marken. Minimalismus ist hier schon längst nicht mehr negativ besetzt.

Als sich im letzten November das „Who is Who“ der Mode in der Royal Albert Hall in London versammelte, um neben dem Blitzlichtgewitter auf dem roten Teppich zu erfahren, wer die Gewinner der „British Fashion Awards“ sind, durfte sich  Stella McCartney für die Arbeit an ihrem gleichnamigen Label einen Extra-Preis abholen – den „Award For Innovations“. Diesen bekam die Designerin verliehen, weil sie all ihre Kollektionen mit rein veganen Textilien und im gleichen Zuge nachhaltig produziert. Auch wenn dieser Preis erst extra für sie erfunden werden musste, so hoffte auch McCartney, dass er im nächsten Jahr ebenfalls verliehen wird.

Auch Jeanne de Kroon ist zurzeit mit ihrem Label „Zazi Vintage“  sehr präsent in der Modeszene. Nicht die Nischenprodukte des Modejournalismus, die regelmäßig nachhaltige Mode vorstellen, sondern die Mainstream-Medien wie Vogue Germany, InStyle und Jolie berichteten über die niederländische Designerin. De Kroon sammelt alte Stoffe aus der ganzen Welt, welche von Frauen in Wohltätigkeitsorganisationen in Indien und Usbekistan verarbeitet werden. Das Label produziert nicht nur nachhaltig und transparent, sondern schafft auch Jobs und verbessert mit den Einnahmen die Lebensbedingungen der Frauen in Entwicklungsländern – die „schönste Vintage-Mode-Idee des Jahres“, findet die Vogue. Zazi Vintage gibt den Menschen hinter ihren bodenlangen, aufwendigen Mänteln und bunten Kleidern ein Gesicht. Ihre Entwürfe sind weder schlicht, noch basic; sie sind aufwendig, farbenfroh, mit Mustern versehen. Niemand spricht von „Zazi Vintage“ als reine Öko-Marke – und das Konzept geht auf. InStyle und Jolie, die in der gleichen Ausgabe ZARA und H&M präsentieren, zeigen auch die bewusste Produktion von Kleidung auf – ohne dass diese durch moralische Zurechtweisungen aus dem Rahmen fallen. Das beweist, dass Zazi Vintage es aus der undankbaren Nische der grünen Mode herausgeschafft hat und auf diese Weise faire Arbeitsbedingungen und Produktionen von Kleidung einem Massenpublikum begreiflich machen kann.

Armed Angels als nachhaltige Alternative

„Mode ist Kulturgut“, versichert uns David Roth. Und an der Ästhetik des Gutes zu rütteln, kann keine längerfristige funktionierende Lösung sein. Verzicht und Bewusstsein zu predigen, ein nachhaltiges Leben in einem kapitalistischen System zu propagieren in dem Wirtschaftswachstum mit einem höheren Lebensstandard gleichsetzt wird – dall das erscheint realpolitisch kaum umsetzbar.

Es stellt sich die Frage, ob wir uns letztendlich rechtfertigen müssen, in einer Branche tätig zu sein, die als einer der schmutzigsten und schädlichsten der Welt gilt. „Mode bedeutet für mich nicht gleich eine Leidenschaft für schnelllebige Trends. Außerdem führt Leidenschaft im besten Fall dazu, Dinge zu hinterfragen und sich dessen negativen Auswirkungen bewusst zu werden“, so Amelie Varzie. Solange man sich also seines Konsumverhaltens bewusst ist, gibt es keinen Grund für eine Rechtfertigung.

Man könnte meinen, es sei leicht die Leute zu bewegen, ökologisch faire Kleidung zu kaufen, schließlich gibt es nichts an diesem Konzept auszusetzen. Bei „Organicc“, dem Laden mit den grünen Wandtattoos, ist Irina Palmer davon überzeugt, dass ihre Kundschaft „langsam aber stetig“ wachsen wird.

Wirft man nun einen genaueren Blick in die Ablagen des grünen Geschäfts in der Berger Straße, sieht man neben unförmigen Strickpullovern auch einen Hoffnungsschimmer der Öko-Branche, den „Armed Angels“. Sie folgen Trends, ohne diese exzessiv auszuüben. Bomber-Jacken, Klassische Mäntel in gedeckten Farben, lange Schals mit Logo Stickerei, einfache Shirts und Pullover mit dezenten Prints und Mustern definieren das Sortiment der nachhaltigen Marke. Auch dort ist „grüne Mode“ Teil des offensiven Marketings – ohne dass die Ästhetik darunter leidet. David Roth und sein Kollege Jakob Haupt von Dandy Diary posieren auf Instagram mit dem Armed Angels Schal um den Hals gebunden und beweisen, dass das Konzept der nachhaltigen Mode auch außerhalb der Öko-Kundschaft funktionieren kann.

Von Sofia von Schledorn und Angelika Watta 

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